"Die immer engere Union erzeugt immer größere Widerstände"

Neue Herausforderungen auf dem alten Kontinent Europa
Nachricht13.07.2016Kamran Rostam
Rödder Paqué
Prof. Andreas Rödder und Prof. Dr. Karl-Heinz PaquéKarl-Hermann-Flach-Stiftung

Wie genau soll es jetzt eigentlich weitergehen? Nicht nur im Vereinigten Königreich wird diese zentrale Frage nach dem Brexit-Votum heiß diskutiert.

Im hessischen Bad Soden verdeutlichte der Mainzer Historiker Prof. Andreas Rödder nun seine eindringliche Analyse vom „Europa in der Bewährungsprobe“ vor über 70 interessierten Gästen. Gemeinsam mit Prof. Karl-Heinz Paqué, dem stellv. Vorsitzenden der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, entstand im Anschluss eine sehr offene Debatte über die richtigen politischen Lehren aus dieser akuten Krise der Europäischen Union. 

Prof. Andreas Rödder zur Bewährungsprobe von Europa

Eine europäische Bilanz

Ausgehend von seinem aktuellen Buch „21.0 – eine kurze Geschichte der Gegenwart“, stellte Andreas Rödder zentrale Punkte von großem Erfolg und Misserfolg in der Europäischen Union gegenüber. Die Überwindung von Schlagbäumen, eine inzwischen jahrzehntelang andauernde Friedenssicherung und besonders die erfolgreiche Stabilisierung der postkommunistischen Staaten Osteuropas hob er dabei hervor. Demgegenüber stehen wiederum eine fehlende gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und das deutliche Versagen in der akuten Flüchtlingskrise. In der Summe überwiegen für Prof. Rödder zwar die Vorteile dieser Union deren Nachteile noch bei weitem, jedoch gehe die institutionell und auch politisch-inhaltlich wahrnehmbare europäische Krise bis an den Kern der Gemeinschaft.

Rödder

"Ideen werden gefährlich, wenn sie sich von der Realität lösen."

Prof. Andreas Rödder

Modell der „ever closer union“ ist gescheitert

Zur harten Realität in Europa zählt dabei für ihn vor allem, dass das Mantra der immer engeren Union mittlerweile abgelehnt werde. Das Prinzip, die nach wie vor bestehenden kulturellen Mentalitätsunterschiede zwischen den vielen Nationalstaaten auf diese Weise zu überdecken, sei daher gescheitert. Die grundsätzliche Aufgabe nationaler Souveränität sogar fahrlässig, so Andreas Rödder. Reine Größe sei schließlich kein Wert an sich! Beispielsweise zeigt die Schweiz wie man sich als kleines Land wirtschaftlich behauptet und Brasilien wiederum, wie ein riesiger Staat politisch schnell den Bach runtergehen kann.

Großen Aufgaben statt zu viel Detailregelung

Dieser recht schonungslosen Analyse der EU entgegnete Prof. Paqué mit sehr realistischem Optimismus in der anschließenden Debatte. So habe die ähnlich existentielle Eurokrise bereits gezeigt, dass die EU zu erfolgreicher gemeinsamer Problemlösung in der Lage sei. Die Herausforderungen hätten zweifelsohne zugenommen, doch sei dies für ihn gerade Grund zum Plädoyer für ein politisch stärkeres Europa. Der sich wirtschaftlich für das Vereinigte Königreich noch verheerend auswirkende Brexit sei vielmehr Ausdruck der völlig falschen Antworten auf politischen Differenzen in der EU, so Karl-Heinz Paqué.

Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué über die Zukunft der EU